Ts, ts, diese Triebe …

Laut Siegmund Freud, dem Begründer der Psychoanalyse, verdankt der Mensch es der Sublimierung seiner Triebe, dass er im Laufe der Geschichte die Kunst erfand. Will sagen: Der Verzicht – vor allem der unfreiwillige – auf erotische Erfüllung wird veredelt, indem deren Austragungsort vom Bett beispielsweise in die Musik verlagert wird. Daher also die Unmenge an Opern, Oratorien, Orgelwerken? Nun, Herr Freud, wir wollen nicht großmäulig erscheinen, aber uns scheint: Der Lack der Wissenschaftlichkeit auf Ihrer Theorie ist recht dünn. Derart dünn sogar, dass er längst rissig ist. Weswegen das rostige, zerbeulte Vorurteil darunter recht blank vor Aller Augen liegt. Die Neunte, einzig dem Umstand zu verdanken, dass es Beethoven verwehrt war, gelegentlich das Schlauchboot zu Wasser zu lassen, den Ritt auf dem wilden Pony zu wagen, den horizontalen Tango zu tanzen (oder was es sonst an obskuren Metaphern für den Beischlaf geben mag). Schön wär’s, wohlgemerkt – denn dann hätte Herr Brüderle in jener Nacht vor einem Jahr vielleicht ein Streichquartett komponiert, statt der Stern-Journalistin dünne Komplimente zu machen, unter denen die rostige, zerbeulte Zudringlichkeit allzu sichtbar hindurchschimmerte. In Wirklichkeit, lieber Freud, hat die Kunst zwar durchaus mit Trieb und dessen Sublimierung zu tun. Aber anders als von Ihnen gedacht, wie folgende Anekdote beweist: Als es den Komponisten Richard Strauß wieder einmal dazu trieb, mit langatmigen Monologen eine Schar Gäste zu ermüden, unterbrach ihn seine Gattin knapp: Ah, geh‘, Richard’l! Tu a bisserl komponier’n!“

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