Visionäre Drecksau

Unser Planet umgreift bis heute ungeahnte Mengen Blanko-Raum: den Marianengraben, Grönland oder das Umland von Kassel etwa. Die anstehende Leipziger Buchmesse (14.-17. März) erinnert uns ebenfalls an diesen Umstand, denn weltweit reiben sich bis heute Autoren unablässig auf, diese Räume mittels Gedrucktem zu verfüllen. Was einen Denkfehler gegenüber dem Schreiben bloßlegt: Schreiben ist kein Montageschaum, der klebrig-blähend Hohlräume versiegelt; sondern Erfüllung uralten Menschheitstraumes, Gedanken auf Papier festzuhalten, um sie dann zu zerknüllen und im Kamin risikofrei zu entsorgen. Aber statt Geschriebenes in erwähntem Modus unschädlich zu machen, gerät es als Buch in den Handel und vermehrt die Schlammflut an Gedrucktem. Um uns –  die kleinen, mit bloßem Auge nicht erkennbaren Leute – diese nutzlosen Ziegel aufzuschwatzen, verfüllt man gern weiteren Weisraum mit Gedrucktem – die Rückseite besagter Bücher; und zwar mit sich vor Lob überschlagenden Rezensionen („Fesselnd“, „Spannend“, „Voll bezwingender Einsichten“). Diese Speichelleckerei verdankt sich dem Umstand, dass Kritisches von vorneherein aussortiert wird. Immer? Nicht immer – den zumindest ein Schreiber, der diesen Samstag 93 geworden wäre, wagte, dort Vernichtendes abdrucken zu lassen: Säufer-Poet Charles Bukowski (1920-1994). Neben verlogener Elogen („direkter Nachfahre der romantischen Visionäre, die am Altar ihrer persönlichen Exzesse, der Gewalt und des Wahnsinns opferten“) ziert die Rückseite eines seiner Bücher der schlichte New-York-Times-Kommentar: „Charles Bukowski ist eine alte Drecksau“.

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