Hausmusik

Die Hölle muss wohl leer sein, denn die Teufel sind heuzutage sämtlich in MP3-Player und Designerdrogen gefahren. Man muss kein Einstein sein, um zu ahnen, dass der, der sich beides regelmäßig in der Einsamkeit einer Dreizimmerwohnung in den Kopf hineinstellt, irgendwann unter hartem Stuhl, trübem Urin und einer Gehirn-Fimose leidet. Dagegen sind Leute, die in einer Dreizimmerwohnung noch selber Musik von Hand machen und dazu richtiges Bier trinken (vgl. Wilhelm Busch: „Die erste Pflicht der Musensöhne/ ist, dass man sich ans Bier gewöhne!“) in unserer postdemokratischen Gesellschaft fast so selten geworden wie einbeinige Stehgeiger. Unsere ekstatische Begeisterung war also nur zu verständlich, als wir kürzlich im Netz das Video des Musikstudenten Felix Pätzold  entdeckten, der in seiner Leipziger Dreizimmerwohnung unter Zuhilfenahme von elf Kästen Bier und 80 Leuten Bachs Weihnachtsoratorium aufführte (http://www.youtube.com/watch?v=Wi0ekhf6_J0). Das Resultat ist durchaus hörenswert, das Video wurde mittlerweile über 70 000 mal angeklickt. Kein Wunder, denn wie sich die Beteiligten dampfend ins Geschirr legen, ist schon ziemlich sexy, smart und sophisticated. Gleichzeitig erweist sich Organisator Felix Pätzold als eine Art Houdini: 80 Leute, plus Instrumente und zweier ausgewachsener Barockpauken in einer Dreizimmerwohnung unterzubringen, ohne eine Autopresse zu benutzen, grenzt ans Wundersame. Der Charme dieser Aufführungspraxis: Sie macht vor, wie der mittlerweile immer knapper werdende Wohnraum optimal genutzt werden kann.

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