Dichtung und Wahrheit

„Die Brück‘ am Tay“ von Theodor Fontane beginnt so: „Wann treffen wir drei wieder zusamm?“/„Um die siebente Stund, am Brückendamm!“/ „An Mittelpfeiler.“/ „Ich lösch die Flamm.“/ „Ich mit.“/ „Ich komm vom Norden her.“/ „Und ich vom Süden“/ „Und ich vom Meer.“/ „Hei, das gibt ein Ringelreihn./ „Und die Brücke muss in den Grund hinein.“/ Und der Zug, der in die Brücke tritt/ um die siebente Stund?“/ „Ei, der muss mit!“ Naturgewalten verabreden sich, um die 75 Menschen in jenem Zug, der 1879 die Firth-of-Tay-Brücke überquerte, stürmisch in Tiefe und Tod zu reissen. Der Anprall realer Katastrophe, das Beben der Dichtung Fontanes gießt uns bis heute Riesel über den Rücken. Epidemien, Erdbeben, Meteoriten – die Druckstellen an der Stirn gehen schlecht weg, wenn man über ähnlich Bedrohliches in Zukunft grübelt. Dabei übersehen wir gern, dass sich nicht nur Natur unheilvoll verabredet, sondern auch der Mensch! Dessen Irrsinn ballt sich nicht nur in nordkoreanischen Regierungen oder deutschem Schlagertext. Sondern vor der Nase. Meist endets glimpflich. Zumal, wenn sich statt Stürmen überm Tay nur malzgenährte Söhne des Volkes bei Gummersbach verabreden, ist das kein Fall für Fontane. Der örtliche Polizeibericht teilt lakonisch mit: Gleich vier Lastwagenfahrer lieferten betrunken Ware bei einem Kunden ab. Sie fielen auf, da sie beim Einparken mehrfach miteinander kollidierten und einen Zaun beschädigten. Gemessen wurden zwischen 1,24 und 2,0 Promille. Die Führerscheine wurden sofort eingezogen. Wie endet Fontane? „Tand, Tand, Tand/ ist das Gebild von Menschenhand.“

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