Heilsame Horrorvision

Zwei Heimsuchungen, die diesen Winter über uns hereinbrechen: das Wetter und Julia Engelmann. Beides wirkt aufs Gemüt wie ein Pürierstab. Zurück bleibt leimige Tristesse. Das müsste nicht sein, wäre wenigstens der Winter so, wie man sich einen Winter gemeinhin vorstellt: weiß, hart, sauber; Schellenklang und Peitschenknall. Weiße Matten, über die bläuliche Schatten huschen. Immerhin – ein Trost, dass Andere auch leiden: Die „Welt“ meldet, das Wetter im Nordosten Englands sei derzeit so schlecht, dass es selbst den Pinguinen auf die Stimmung drückt. Die zwölf Humboldt-Pinguine im Zoo von Scarborough hätten derartige Anzeichen von Stress gezeigt, dass sich die Pfleger entschieden hätten, ihnen mit ihrem Fisch Antidepressiva zu verabreichen, sagte Zoo-Sprecherin Lyndsey Crawford. Wir sehen die Zwölf förmlich vor uns, die Krägen der nassen Fräcke hochgeschlagen, mit traurigem Käthe-Kollwitz-Blick am Beckenrand entlang schleichend, während zum Niesel leise Saties „Gymnopédie No. 1“ läuft. Aber muss man da tatsächlich gleich tief im Medikamentenschränkchen wühlen? Uns fragt zwar niemand. Aber uns hilft bei anhaltender Flaute im Gemüt immer, sich etwas auszumalen, demgegenüber die aktuelle Realität eine wahre Wonne ist: Etwa einen Abend lang auf einem Dreisitzer in einem überheizten Kabuff zwischen Alice Schwarzer und einem Markus Lanz sitzen und einen Zusammenschnitt sämtlicher Beckenbauer-Interviews anschauen müssen. Zugegeben – eine Vorstellung, bei der auch die hartleibigste Frohnatur in Schweiß gerät. Aber dieser Pussy-Winter ist dagegen geradezu unbedenklich.

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