Der Weltgeist und der Zellstoff

Kundige wissen: Rechtsstaat und Tischmanieren sind ideale Zeugnisse Hegelscher Geschichtsphilosophie, wonach sich die Welt aus sich selbst allmählich von der hässlichen Raupe zum schillernden Schmetterling entwickelt. Ein Beispiel: Der Mensch der Renaissance glich bei der Tafel einem ungezähmten Mustang. Kaum waren die Speisen aufgetragen, schon ward eitel Schnarren, Blubbern und Brummen allenthalben. Was immer das Gekröse durchzuckte – vom Tischgenossen blieb’s nicht lange unentdeckt. Und so durchwaberten linde Knoblauchwinde die Hallen, verabredeten sich brausende Eingeweide-Stürme zu vielstimmigem Chor. Den Mund wischte man gerne ins Tischtuch, eine Unsitte, heute so verpönt wie Nordkorea. Dank Generationen von Benimmratgebern werden körpereigene Geräusche heute zuverlässig verhütet. Wir putzen uns nach dem Mahle das ketchupverschmierte Mündlein in die Papierserviette, quietschend vor Glück. Und wären Politikerreden nur halb so belebend wie ein zitronenduftendes Erfrischungstüchlein – die Welt wäre ein besserer Ort! Aber kürzlich fiel in den USA ein dunkler Schatten aufs Tableau kultivierter Tafelfreude: Webster Lucas aus Kalifornien, der einen Royal TS mit Käse bestellt hatte, bat die Mitarbeiter eines weltumspannenden Fast-Food-Unternehmens um eine weitere Serviette – und blitzte ab. Aber nicht nur Hegel, auch Webster ist sicher: der Weltgeist lässt sich nicht zurückdrehen! Und so nutzt Webster – Blutzeuge entwickelter Essmanieren – obgenannten Rechtsstaat, um den Rückschritt in die Barbarei zu verhindern: Er verklagte McDonalds auf 1,5 Millionen Dollar.

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