Sensibles Wässerchen

Im Barock nannte man den menschlichen Urin auch „Kammerlauge“. Der Begriff ermöglicht Rückschlüsse auf die schon damals gesellschaftlich zugestandene Stätte der Entleerungs-Zeremonie. Dennoch: Wildpinkeln zählt – vornehmlich bei jungen Männern – als Indiz ekstatischer Gestimmtheit. Und irgendwie als eine der überaus raren Attraktionen des Alltags, die nicht mit Käse überbacken sind. Aber erstens gilt ein solches Verhalten nicht völlig zu Unrecht als Ausdruck eines – sagen wir – eher kleinstädtischen Stilempfindens. Zweitens wird man fürs Inflagranti-Erwischt-Werden nicht unbedingt mit einem Ehrendoktor in Urologie belohnt oder mit dem Recht, ein Wappen zu führen. Sondern bekommt üblicherweise eine Geldstrafe. Ausnahmsweise könnte man einem 19-Jährigen Amerikaner für beschriebenen Akt doch einen Preis zusprechen, nämlich den Oskar für das schlechteste Timing: Bei laufender Überwachungskamera öffnete er neulich nachts in Portland im Mount-Tabor-Stadtpark die Hose und schlug sein Wasser ab – ausgerechnet in den städtischen Wasserspeicher, der dort nur mit einem Gitter gesichert ist. „Auch wenn das Gesundheitsrisiko sehr gering ist, ist es einfach unsere Pflicht, Wasser zu stellen, das gleichbleibend sauber ist“, sagt der leitende Verwalter des städtischen Wasserbehörde, David Shaff, der Lokalzeitung „The Oregonian“. Offenbar sind die 144 Millionen Liter offen gelagertes Trinkwasser gegenüber ein paar hundert Millilitern menschlichen Urins ebenso sensibel wie Riberys Ego gegenüber konsequenter Mann-Deckung: Es muss ausgetauscht werden.

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