Väter und Söhne

In der modernen Welt ist unsere Existenz bandagiert und umwickelt mit Versicherungsverträgen, Warnhinweisen, Notfallrufnummern wie eine ägyptische Mumie. Unwiderlegbar – das macht das Leben sicherer! Aber dadurch bekommen unsere Erdentage leider zunehmend ein Erregungspotential, das am ehesten zu vergleichen ist mit zehn Seiten Peter Handke lesen. So sieht’s von außen aus. Innen? Im Menschen, da brodelt‘s, da heulen Wölfe! Weswegen regelmäßig jener dunkle Wunsch in uns gärt, der wellenlos glatte Teichspiegel unseres bunten Alltags möge doch – bitte! – wieder mal rasiermesserscharf von der grauen Rückenflosse eines unkalkulierbaren Risikos durchschnitten werden. Eingebungen, die sich im Kopf eines 33-jährigen Vaters aus Herne mit einem an sich lobenswerten erzieherischen Ansatz verzahnten. So dass er den dreijährigen Filius ans Steuer des Wagens ließ. Der Polizei-Motorradfahrer, der beide morgens um neun Uhr auf einer viel befahrenen Straße anhielt, traute seinen Augen nicht. Der Bub saß auf Vaters Schoß und bediente das Steuer, während sich Papa den Pedalen widmete. Eine Konstellation, bei der es sich als unbequem erweisen dürfte, gemeinsam an einem Gurt festgezurrt zu sein. Weswegen die beiden darauf verzichtete. Die lapidare Antwort des Erziehungsberechtigten auf die drögen und bürokratischen Vorhaltungen seitens des Beamten: Er habe seinem Sohn das Lenken beibringen wollen. Wir fragen uns seitdem: Vielleicht hat ja jene stumme, unbewusste Angst vorm Erwischt-Werden für den modernen Menschen einen raffiniert-erotischen Reiz. Anders ist die Sache schwer erklärlich.

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