Kopflos in Berlin

Von einem Block Granit alles weg zu hämmern, was nicht nach Lenin aussieht – eine Lapalie für einen geübten Bildhauer. Die Sturmwolken echter Kalamitäten ziehen oft erst später auf. Denn es braucht nur eine unscheinbare politische Revolution, und schon gleicht der Granit nicht mehr Lenin, sondern einem ausgebranntem Uranbrennstab: er wird faktisch zum Entsorgungsproblem. 1991 ließ man in Berlin eine gewisse Laxheit im Umgang mit jenem 20 Meter hohen Lenin-Koloss walten, mit dem wir uns heute hier befassen. Man tranchierte ihn weihnachtsgänsegleich in hundert Teile und verfuhr wie mit Gemüse, das überwintern soll: man verbuddelte ihn im märkischen Sand. Ob nun aus Befürchtung, er könne bei Licht keimen, oder um ihn an einer Rückkehr als Widergänger zu hindern – Beweggründe gab es genug. Auch wenn der unschuldige Granit streng genommen nichts dafür kann, wen er darstellt. Grell wie ein Blitz durchzuckte nun folgende Meldung die Nachrichten-Düsternis: Der riesige Kopf sollte eigentlich Kernstück der Dauerausstellung „Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler“ in der Zitadelle Spandau werden. Das Land Berlin habe diesem Plan nun aber einen Riegel vorgeschoben, so die „Berliner Zeitung“ . Das Ausbuddeln sei schlicht zu teuer, zumal man nicht genau wisse, wo der Kopf genau liege. Sämtliche Einzelteile aus dem Sand zu schaufeln – dazu fehle schlicht das Geld, so die spröde Begründung. Probleme, die es nicht gäbe, wäre Berlin 1991 mit Lenin konsequent kapitalistisch verfahren: Ein wenig Geschick, eine Spur merkantilen Instinkts, und das Ding wäre längst nach Nordkorea verkauft.

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