Laute Wände an stillen Örtchen

Keine Panik an der Keramik – eine kleine Stilkunde für Klosprüche

Es mag einen ganzen Ballen drängender, ja pressender Nöte geben, die den Menschen zur Toilette zwingen – sein Mitteilungsbedürfnis ist nicht die geringste! Klowände legen ein recht beredtes Zeugnis davon ab. Brief, Postkarte, Notiz – all diese Potentiale werden offenbar als unzureichend empfunden, wenn Mensch dem Menschen wirklich Bedeutsames mitzuteilen hat. So bleibt hierfür offenbar nur die öffentliche Kachel als Medium, den Rest besorgen ein Edding, etwas Zeit und ein Gefühl des Unbeobachtet-Seins. Man darf bei nüchtern-wissenschaftlichem Studium des geschriebenen Nachlasses durchaus von einem Genius loci sprechen, der dazu inspiriert, in zwiefacher Hinsicht vor Ort die Losung des Tages zu hinterlassen. Um Missverständnissen vorzubeugen – uns ist es natürlich nicht um einschlägige Krakeleien von ermüdender Kürze (Ficken? Tel ….) zu tun; auch nicht um erotische Selbstzeugnisse, in denen Urheber mit offenbar rustikalem Ego schwer nachprüfbar mit eigener körperlicher Möglichkeit kokettieren („Ich hab den dicksten“). Nein, nein – wir reden heute über solche Klosprüche, die des Lebens wirre Vielfalt mittels Edding bei der Wurzel packen, um des Universums Rätselhaftigkeit zu bündiger Erkenntnis zu kondensieren: „Steter Tropfen nässt das Bein!“ Das ist fein beobachtet! Und zudem eine Bildung verratende Paraphrase auf ein Sprichwort von Ovid. Auch sonst ist der Hohe Ton auf dem Klo durchaus zu finden, manch Autor wählt gar klassischen Versfuß: „Wenn der Knecht zum Waldrand hetzt, war das Plumpsklo schon besetzt“. Form und Inhalt – ewiger Widerstreit, aufgelöst in strengem, achthebigem Trochäus, der die Fülle aller Existenznot in zweizeiliger Fabel elegant offenbart! Aber es geht auch moderner, mancher orientiert sich gekonnt am schonungslosen Realismus Hemingways: „Gib zu, das war das beste, was du heute geschafft hast“. Das ist pessimistisch, schnörkellos-knapp, hier offenbart sich ein Erbe der Lost-Generation. Von zeitloser Erkenntniskraft ist „In Winkeln ist gut pinkeln“; und von erheblicher Lebensklugheit zeugt: „Hast du im Leben nichts zu lachen/ lass es auf dem Lokus krachen!“ Es war höchste Zeit, Leser von Ihrem geistigen Format mit diesem Thema zu beschäftigen, und so stellen wir abschließend noch ein kleines Rätsel – wie lautet die zweite Zeile eines Schüttelreims, wenn die erste Zeile lautet: „Schuhe braucht man zum Reisen“? Nebenbei: Es gibt nur einen Ort zur grübelnden Lektüre: „Am ruhigsten du die Zeitung liest/ dort wo du an der Leitung ziehst.“

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