Beischlaf, Schnaps und Mundgeruch

Tagebücher sind nicht mehr ganz zeitgemäß – wir wissen, warum

Es mag nicht mehr en vogue sein, aber Tagebuch-Autoren umstrahlt noch immer eine Aura von Sensibilität, Hellsichtigkeit und nüchterner Beobachtungsgabe. Nicht ganz zu Unrecht, wie wir hier durch einen kurzen Auszug aus dem berüchtigtsten Tagebuch des 20. Jahrhunderts belegen: „Die Anstrengungen der letzten Tage verursachen mir Blähungen und Eva sagt, ich habe Mundgeruch“. Recht intim, nicht wahr? Und zudem ein erschütterndes Selbstzeugnis, das man selbst tunlich vor einer sensationsgeilen Öffentlichkeit verbergen würde; genau das Richtige also, um Auflage und Gewinn zu machen, dachte sich 1983 das Hamburger Hochglanzmagazin „Stern“ – und druckte diese und ähnliche Passage aus Hitlers Tagebüchern. Tatsächlich erschütternd an den zitierten Zeilen war aber, dass sie gar nicht, wie der „Stern“ glaubte, von Adolf Hitler stammten; sondern frei erfunden war vom Tagebuch-Fälscher Konrad Kujau, der dem Magazin insgesamt 62 „echte“ Hitlertagebücher zum Preis von rund neun Millionen Mark vertickt hatte. Tja – das wiederum hätte der Stern gerne vor einer sensationsgeilen Öffentlichkeit verborgen, was nur misslingen konnte, und so führten Dummheit und Gier (eine im Mediengewerbe nicht ganz untypische Gemengelage) zum vielleicht größten Skandal der bundesdeutschen Pressegeschichte. Aber schon vorher umnebelte Tagebücher und ihre Autoren etwas Suspektes, ja – Schlüpfriges, zumal, wenn sie dabei zum Zotigen neigten wie Ernest Hemingway („Wem die Stunde schlägt“), der bevorzugt über Weiber und den Suff schrieb. Immerhin – kaum eine Passage in der Geschichte der Tagebuchaufzeichnung weckt beim Leser derart das Bedürfnis, abends Absinth zu saufen und später Messertricks vorzuführen wie Hemingways legendärer Eintrag: „Abends mit Absinth besoffen. Später Messertricks vorgeführt.“ Das hat – wenn auch versoffene – Grandezza; dagegen zeugen andere Tagebucheinträge von peinlicher Pingeligkeit: Den Romantiker Robert Schumann (heuer 200 Jahre alt) trieb offenbar ein Hang zu pedantischer Buchhaltung zum Tagebuch – jedes Mal, wenn er Gattin Clara bestieg, notierte er danach ein knappes „C.“ in seine Kladde. Aber der, der das Tagebuch als Echolot des Tagesgeschehens für immer diskreditiert hat, war Ludwig XVI. „Rien“ – „Nichts“ lautet sein Eintrag vom 14. Juli 1789. An dem Tag war die Bastille gestürmt und die Weltgeschichte verändert worden. Wenn diese Beispiele uns etwas lehren, dann, dass man besser kein Tagebuch führt – im Zweifel macht man sich vor der Nachwelt nur lächerlich.

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