Dr. Pimplwichtich und die Kalorien

Tut uns light – aber gegen den Schlankheitswahn üben wir heute mal Notwehr

Mit nichts kann man sich effektvoller von eigenen Problemen ablenken, als sich um die Probleme anderer zu kümmern. Für ölige Ratgeber-Literaten wie für messianische Gesundheits-Eiferer ist Einmischung in ureigenste Angelegenheiten ihrer Mitmenschen offenbar mehr als Zeitvertreib: Sie bringen so das Geld für die Miete zusammen, denn leider verkauft sich der Auswurf, den sie regelmäßig von oben aufs arme Volk kippen, wie Hölle! Die unerfreuliche Manie, das Leben anderer regulieren zu wollen, schwillt periodisch an wie ein lepröses Karbunkel, um jäh mit lautem Mahn- und Warn-Getöse eitrig aufzuplatzen. Opfer der jüngsten Detonation waren wieder mal die Dicken, gegen deren behagliche Fülle der verkrampfte Schlankheits- und Gesundheitswahn Attacke um Attacke reitet. Jetzt behaupten Phil Edwards und Ian Roberts von der London School of Hygiene and Tropical Medicine in der Medizinzeitschrift „The Lancet“, dass übergewichtige Personen deutlich mehr Nahrungsmittel und Treibstoff als Normalgewichtige verbrauchten, etwa, weil Dicke mehr Auto fahren als sich selbst zu bewegen. Damit aber trügen Dicke zur Verknappung und Verteuerung landwirtschaftlicher Produkte bei. Danach gestehen die Mediziner aufgrund Statistik einem „normalen“ Menschen von 1,75 Meter Größe 2500 Kalorien täglich zu. Puh – schon verätzt uns der scharfe Pestgestank postmodernen Gesundheitsfaschismus’ das Chronisten-Näslein: Diese Dicken! Besitzen doch tatsächlich die Impertinenz, aus unverschämter Daseinsfreude mehr zu essen, als Edwards und Roberts gestatten! Wir müssen annehmen, dass auf beider Studie folgendes Gleichnis passt: Edwards molk einen Bock, Roberts aber hielt ein Sieb darunter. Ihre Behauptung ist selbstredend Mumpitz: Erstens müssen Schlanke mehr heizen, Dicke sind dagegen gut isoliert. Zweitens – da sich Dicke weniger bewegen, verbrauchen sie weniger Kalorien als eine Vergleichsgruppe drahtig-asketischer Jogger. Drittens verdanken sich die Gewichtsunterschiede heutzutage weniger individueller Entgleisung, sondern mehr dem hektischen Spätkapitalismus: Während Schlanke im Stress vergessen, eine Mahlzeit einzunehmen, vergessen die Dicken, dass sie bereits eine Mahlzeit eingenommen haben, weswegen Übervorsichtige jede Mahlzeit zweimal essen. Indem wir die Dinge hiermit gerade gerückt haben, nun unsererseits einmischender Rat ins Leben der Schlankheits-Mullahs: Stifte weg! Bratkartoffeln mit Sülze bestellen! Den Brausekopf mit Bier kühlen! Und einfach mal Klappe halten!

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