Den Glücklichen wecken die Götter

Plädoyer für den Morgenschlummer, zugleich Versuch einer Gehirnwäsche.

Wäre das nicht eine wunderbare Welt, in der wir gegen elf in einem natürlichen, organischen Prozess allmählich aufwachen, um gähnend zu uns selbst zu sprechen: „Ich muss mich anklagen, der Freude weiterer Schlummerstunden aufgrund völliger Erfrischung entsagen zu müssen“? Und ob es das wäre! Zumal – nachts kann kein freier Geist schlafen. Nachts opfert alles von Größe den Musen! Nachts führen wir all jene Dinge zusammen, die tags keine Funken aneinander schlagen dürfen. Überhaupt, die Nacht! Wie so verzückt der Mond den großen Honighintern reckt! Rings flatterts falterflaumig, lindes Blätter-, Blütenwispern, Düfte ziehen maiwärts, und über allem singt die Nachtigall. Welches Arschgesicht wollte da schlafen, hä? Daher fällt uns, die wir keine Arschgesichter sind, naturgefällig der lange Morgenschlummer wie ein Sonnenstrahl ins verschattete Haus. Man schreibe sich also gefälligst hinter die Löffel: Nicht beim ersten Schrei des Hahnes aus den Federn zu steigen, ist das heilige Zeichen, an dem selbstständige Charaktere sich gegenseitig erkennen. Die Welt des Menschen wäre so schön! Aber leider – der kalte Blick des Puritanismus (er mag schon manch Unheil angerichtet haben) fällt nun schon seit Jahrhunderten graus auf uns, verunstaltet „Leben“ in „Existieren“. Er verachtet nichts so sehr wie eigenständige Persönlichkeit. Deswegen umhüllt er den großen Betrug des Frühaufstehens mit dem Gewand einer angeblichen Naturgewalt. Wie Gilbert K. Chesterton schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts feststellen musste, sei die Weckzeit keine Frage der individuellen Vorliebe mehr, sondern zu einer der Moral entartet. Ganz so, als sei der selige Morgenschlummer nichts als beiläufiger, wenig bedeutender Abwurf unserer Natur. Dabei würde niemand, der allein auf einer Insel lebte, freiwillig um sieben aufstehen. Leute, die um sieben aufstehen, verursachen Finanzkrisen, betreiben Atomkraftwerke und haben wichtige Ämter in der F.D.P. Solche Leute stehen den ganzen Tag über mit beiden Beinen fest neben der Realität. Ihre eitrigen Gesänge des Neides und des Eifers überziehen jene, die von ihnen vorgelebte Unsitten nicht imitieren wollen. Dabei kann nur ein Arschgesicht übersehen: Wen gegen 10 Uhr die Götter wecken, ist tagsüber ein Komet. Wen um 6.45 Uhr ein Wecker aus dem Schlaf reisst, taugt nicht mal mehr zur Wunderkerze. Und nebenbei: Schlafen ist eine wundervolle Art, die Zeit zwischen zwei Mahlzeiten zu überbrücken. Aber das erörtern wir ein andermal.

 

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