Lenin, der Kaiser und wir

Im Deutschland dieser Tage findet man eher eine einbeinige Ballerina als einen Zeitgenossen, der den Berufsstand des Bankers in Schutz nimmt. Vor ein, zwei Jahrzehnten hatten die Herren und Damen der Branche noch ein recht bräsiges, überseriöses Image, wie sonst wohl nur die Profession der Bestatter. Heute dagegen? Leute, die sonst allenfalls Bänke besetzt hätten, besetzen Banken. Oder zumindest den Rasen vor den Banken. Moment mal! Deutsche, die protestierend eine öffentliche Grünfläche betreten? Mit einem gewissen geschichtlichen Zitatenschatz im Rücken sollte einen das bedenklich stimmen: Sagte nicht Lenin: „Revolution in Deutschland? Geht nicht – bevor diese Deutschen eine Bahnsteig stürmen, lösen sie erst eine Bahnsteigkarte“? Dass andererseits die Banker diesen Protest bislang, wenn überhaupt, nur mit Unverständnis zur Kenntnis nehmen, führt uns weg von Lenin hin zu Ferdinand I. von Österreich. Im Revolutionsjahr 1848 beobachtete der leicht trottelige Kaiser eine aufgebrachte, protestierende Menge und fragte, zu Metternich gewandt: „Was tun den die vielen Leut‘ da?“ Metternich: „Das ist die Revolution, Majestät!“; darauf der Kaiser, verblüfft und überrascht: „Ja, dürfens denn das?“

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