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Irrfahrt des Herzens
Was einstmals uns in pubertäter Empfindsamkeit entflammte, uns reizbar machte, uns brünstig werden ließ, kurz: was einst heißblütigen Idealismus des Instinkts in uns zu wecken imstande war – bürgerliche Erziehung hat ausnahmslos alles verschlungen! Denn unsere auf Triebaufschub oder sogar -verzicht gegründete Gesellschaft verschmäht solche Empfindungen. Als fürchte man, wir würden in den Zustand unserer wilden Ahnen zurücksinken, wenn wir uns dem Glück des Sehnens, des Suchens, dessen schönste Verlockung gerade seine Vergeblichkeit ist, hingäben (Eingeweihte wissen, was ich meine). Dennoch – es gibt sie, jene glücklichen Wesen, die sich nicht unters Joch bürgerlicher Zucht zwingen lassen; die ausziehen auf Aventure, um dort das Blut der Ekstase aus dampfenden Schalen zu trinken! So wie Kamelhengst Sultan, der kürzlich aus seinem Gehege im schwäbischen Oberfahlheim ausbrach und den Verkehr auf der B 10 bei Kempten lahm legte. Zerzaust und vom Dreck der Landstraße bespritzt, wäre er immer noch unterwegs auf Brautsuche, aber Polizei und Besitzerin Claudia Hackl machten der Irrfahrt des Kamelhengst-Herzens ein Ende. Hackls Erklärung? Sultan habe wahrscheinlich eine Eselin oder ein Pferd gerochen und sei seinen Paarungsgelüsten erlegen. „Eine Kamelstute kann es nicht gewesen sein, denn das nächste Kamel steht bei Ulm und das ist ja auch ein Hengst“, so die Besitzerin. Eine Erklärung, so nüchtern und profan, dass sie nach unsrer Ansicht das Heilige an Sultans Sehnsucht entweiht. Wir dagegen denken: Wo Brunst und Elektrozäune aufeinanderprallen, entsteht reine Poesie.