Lourdes à l’americaine

„Ein Wunder – ich war in Lourdes und kann wieder pilgern!“, rief einst Robert Gernhard. Zurecht: Blinde können gehen und Lahme sehen, sofern sie vor der passenden Reliquie stehen. Sei es das letzte Kotelett vom Wort, das Fleisch geworden ist. Oder aber eine Phiole mit der Milch der Heiligen Jungfrau. Oder einfach nur eine Sprosse jener Leiter, auf der einst Jakob im Traum in den Himmel kletterte. Aber ganz so einfach ist Pilgern nicht, schon dreimal nicht, wenn’s nach Lourdes im Südwesten Frankreichs geht, wohin kürzlich fünf Urlauberinnen aus den USA wallten; wir sehen sie förmlich vor uns, schwitzend die französische Flur durchbrechend, streicht ihr wilder Blick über die Landschaft; genau wie der eines Schiffbrüchigen, der den Horizont nach Rettungsbooten absucht. Doch da – grell blitzend fährt der Geist der Verwirrung unter seine amerikanischen Schafe, wie einst beim Turmbau. Und siehe – sie landen stattdessen rund 800 Kilometer entfernt in einem Dorf in der Bretagne. „Sie haben sicherlich Lourdes in ihr Navi-System eingegeben, aber ohne Postleitzahl – und sind dann in Leuhan gelandet“, vermutet Manée Peron, Inhaberin eines Cafés am Ort. Denn im bretonischen Dörfchen gibt es eine Kapelle namens Notre-Dame-de-Lourdes. Als sie den Fünfen auf der Karte zeigte, wo Lourdes liegt, seien diese „völlig orientierungslos und verzweifelt“ gewesen. Zu Unrecht, finden wir. Denn: Lebt Gott nicht überall, zumal in Frankreich? Und ist es nicht wunderbare Fügung, dass amerikanische Touristen überhaupt Frankreich finden? Wir sollten unbedingt an jener Stätte einen Dom errichten.

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