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Das Loch im Zeitgeist
Ein erster Zwischenstand im Kampf gegen den allgegenwärtigen Perfektionswahn
Das Jahr ist bereits zehn Wochen alt, ohne dass wir den Zeitgeist schon genügend geknutet hätten. Das war falsch, denn er hat die Knute verdient, so penetrant versucht er uns täglich Perfektion einzuflüstern: „Dein Waschbrettbauch müsste neu gewienert werden! Kennst Du schon die besten Strategien fürs Bewerbungsgespräch? Dein Jackett und dein Teint passen nicht zusammen! Außerdem wächst Unkraut zwischen den Waschbetonplatten“, so raunt der Zeitgeist aus finstren Ecken. Warum wir ihm nicht einfach eins auf den Dassel hauen, dem Zeitgeist? Es fehlt wohl an Courage, obwohl fest steht: Im Gegensatz zum Zeitgeist liebt der Mensch das Defekte (jedenfalls, solange er noch grün ist hinterm Ohr): Mutti schielt? Papa ist dick? Dem Teddy fehlt ein Knopfauge? Tante Lotte hat nur hessisches Abitur? Man liebt sie wegen, nicht trotz der Mängel! Anders der Zeitgeist mit seinem Perfektionsgetue – er lacht! Sein entmenschtes Casting-Grinsen zeigt mehr ebenmäßige, frisch gekalkte Heidi-Klumm-Zähne als irgendein Hai brauchen kann; und in finstrer Nacht jagt der Zeitgeist seine Dunkelmänner aus den Zwingern, damit sie die Welt mit Ratschlägen und Traktaten überspülen und den Leser vergiften mit dem Anspruch nach immer streberhaftere Selbstperfektionierung. O seliger Barock dagegen – Damen strebten nach Fleischigkeit, Herren rangen um Fülle, Bäuche glänzten in beängstigend ungesundem Inkarnat, und wenn ein Rubens statt fetter Weiber mal einen Apfel malte, setzte er ihm Flecken beginnender Fäulnis auf; damals wusste man was vom Leben, wusste: die leicht verdorbenen Früchte sind nun mal die süßesten; die dürre Perfektion? Ihr fehlt zur Vollkommenheit schlicht ein Makel! Aber was weis der dumme Zeitgeist davon – er will, dass Äpfel ungesund grün sind und in Zahnarztfilmen auftreten; dass Frauen und Männer derart milchsäuregesund unglücklich aus ihrer angepassten Wäsche gucken, dass einem Rubens das Gesicht ganz salzig würde beim Abmalen. Kurz – es ist höchste Zeit, das Defekte unter Schutz zu stellen, und sei es nur symbolisch, etwa durch eine Patenschaft für ein schrundiges, rissiges Schlagloch in einer Dorfstraße; sagen wir, in Niederzimmern (Sachsen). Und tatsächlich – das kann man, wie der MDR kürzlich meldete. Putzige Schlaglöcher, nur 50 Euro das Stück, hält Bürgermeister Schmidt-Rose (CDU) feil. Aber ach – auch er ein Zeitgeist-Opfer: Das Geld dient nicht dem Erhalt der Löcher; sondern deren Beseitigung. Na schön, Zeitgeist, null zu eins! Aber das Jahr ist noch jung.