Das Label-Hirngespinst

Angesichts der spätkapitalistischen Lebenswelt wird die Sense des gesunden Menschenverstandes gern schartig. Einer der Hauptgründe – der Markenwahn! Es ist schon absurd, wie sehr Marken mittlerweile geradezu fanatisch Religionen imitieren: Man züchtet sich verzückte Adepten heran, indem man sie gegenüber den Anderskaufenden mit sichtbaren Zeichen angeblichen Auserwähltseins ausstattet. Das kann der spezielle Kühlergrill eines Geländewagens sein, der niemals einen Feldweg sieht; das kann ein Kaputzenpulli sein, der – abgesehen vom Markenaufdruck – identisch ist mit Millionen anderen. Auf die Gefahr hin, uns einer Entweihung schuldig zu machen: Marken sind nichts als bombastischer Nebel, hinter dem die allerbanalsten Dinge verkauft werden. Daher hoffen wir auf Verständnis, dass wir allmählich nicht wenig griesgrämig werden, wenn Unternehmen, die nichts weiter anbieten als ein paar alberne Klamotten, ein paar Rollen Klopapier oder eine besonders ungünstige Privatversicherung, einen immer pompöser werdenden Wind machen. Zumal dies „Label“-Unwesen ein Marketing-Gag von überschaubarem Esprit ist. Warum die Sache trotzdem funktioniert? Weil wir alle gerne etwas ganz Besonderes sein wollen, und uns groteskerweise die weitverbreitetsten Marken diese ersehnte Individualität versprechen. Jener Mechanismus fasziniert dadurch, dass er automatisch diejenigen unter uns zu den allerexzentrischsten Nonkonformisten macht, die versuchen, ein möglichst Marken-freier Durchschnittstyp zu sein. Trotzdem – wir werden dem Feuer das Rauchen nicht abzugewöhnen.

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