Das Kondom und das Anasyrma

Das Räderwerk unserer Spektakelgesellschaft wirft uns beharrlich allerhand Knüppel zwischen die Beine. Beispielhaft erwähnt sei der sämtlichen Nachhaltigkeitsgedanken spottende austrocknende Filzstift. Oder die allzeit klemmende Wimpernzange. Oder Objekte, deren einziger Zweck es ist, in kürzester Zeit von Milben befallen zu werden, wie Kopfkissen. Da bleibt es nicht aus, dass der junge Misserfolgsmensch angesichts einer derart missgünstigen Lebenswelt auf der Suche nach echtem Hedonismus unmotiviert an sich und anderen herumnestelt. Nur, um dort in eine weitere heimtückische Falle zu tappen – das herkömmlichen Kondom! Es sträubt sich gegen bestimmungsgemäßen Gebrauch, entweder durch die Unzerreissbarkeit seiner Verpackung oder der eingeschränkten Abrollbarkeit. Man wird dem entgegen halten, dass Solches – etwa mit Hilfe eines jemenitischen Dolchgriffs – rechtzeitig geübt werden kann. Trotzdem stand eine lückenlose Versorgung mit Objekten von leichterer Handhabbarkeit von jeher auf dem Forderungskatalog der Menschheit.  Ein kühner Wunschtraum, den jetzt zwei Ingenieure aus Delft angeblich verwirklicht haben: Ihr Kondom mit dem hübschen Namen „Wingman“ hat kleine, rote Griffe, die Verschiedenes erleichtern sollen. Für uns gehört so etwas eher ins Designer-Museum. Weswegen wir statt dessen plädieren, das Entblößen des Genitals endlich wieder in denjenigen kultisch-magischen Zusammenhang zu bringen, den es bei den Griechen unter der Bezeichnung: „Anasyrma“ einmal hatte. Dort diente das selbst bestimmte Enthüllen nur einem Zweck: Unheil abzuwenden.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Kolumnen. Bookmarken: Permanent-Link. Momentan ist weder das Kommentieren noch das Setzen eines Trackbacks möglich.

  • Kategorien

  • Archive