Schneeflöckchen und die Leberwurst

Es jährt sich diesen Dezember zum 124ten mal, dass sich Vincent van Gogh das Ohr absäbelte. Ob das halbe oder das ganze, war der Kunstgeschichte bislang offenbar zu nebensächlich für eindeutigen Befund. Weshalb er es tat, da hingegen wähnt sich bis heute jeder Dorfklatsch (wenigstens in Arles) sicher: Knatsch mit Gauguin. Wir behaupten: Alles Quatsch, von wegen Gauguin! Weit eher durften dem holländischen Ekstatiker schon 1888 die alljährlich ab November unentrinnbar dahindröhnende Weihnachtsmusik derart blindwütig aufs gepeinigte Maler-Gemüt gedroschen haben, dass er zum Rasiermesser griff, um sich Erleichterung zu verschaffen. Wir wissen natürlich nicht, ob einem heutigen van Gogh zwei Ohren zum Abschneiden überhaupt reichen würden, wäre er den handelsüblichen, sadistisch-hartnäckigen Weihnachtslieder-Medleys ausgesetzt: Ob „O, Tannenbaum“, „Schneeflöckchen“, „Jingle Bells“ – alles, was thematisch irgendwie mit Weihnachten verzahnt ist, wird durch die grobe Scheibe des Wolfs getrieben und zu langkettigen Leberwürsten abgedreht. Wer – um Himmels Willen – mag zehn Leberwürstchen auf einmal essen, bloß weil sie vermittels desselben Darms aneinander hängen, hä? Es ist, um mal ein anderes Fass aufzumachen, ja auch noch kein Verleger auf die Idee gekommen, ein Roman-Medley zu verramschen, bei dem ab Seite Sowieso Effi Briests flüchtige Buhlschaften von Zolas männerfressender „Nana“ abgelöst wird, bevor sich final Madame Bovary und Anna Karenina gegenseitig vor den Zug schmeissen. (Oje – hoffentlich haben wir jetzt den Weihnachts-Buchmarkt nicht erst auf eine dumme Idee gebracht!)

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