Senf auf der Türklinke

Der Aprilscherz mag heute allgegenwärtig sein – tiefgründig ist er nicht

Historisch gesehen ist er ja ein Unglückstag, der 1. April: den Römern war er beinahe so unheimlich wie uns Jetztmenschen ein Freitag der dreizehnte. Vielleicht wurden deswegen – um diesen Fluch zu bannen – bis gestern Abend noch (wie jedes Jahr) schweißgebadet und rasselnd atmend noch Scherze für die geliebten Mitmenschen ersonnen, oder wenigstens mumifizierter Witz aus modernden Grüften gegraben. Und mit bombastischem Aufwand haben die so gewonnenen Aprilscherze heute Morgen die Stuben der Armen wie der Reichen heimgesucht, indem zum Beispiel irgendwer heimlich alle Uhren in der Wohnung um eine Stunde vorgestellt oder Salz in den Zuckerstreuer getan hat (beides immer noch echte Brüller!). Schatz, deine Hose steht offen. Geh mal an die Tür, ich glaub’, es hat geklingelt – April, April! Auch der Straßenverkehr an einem solchen Tag hat ein nicht unkomisches Potential, etwa, wenn man seinen Nachbarn Senf (oder etwas ähnliches) auf die Auto-Türklinke schmiert. Und auch an Ampeln darf gelacht werden: He, Sie haben rechts hinten ’nen Platten. April, April! Um ehrlich zu sein – man traut sich an einem solchen Tag nicht mal mehr das Radio anzumachen; es sei hier nur daran erinnert, dass die BBC am 1. April 1957 einen Beitrag über die Spaghetti-Ernte in der Schweiz ausstrahlte oder ein deutscher Privatsender im Jahr 2000 den Absturz einer Raumstation auf Hamburg vorhersagte. Unschwer nachzuvollziehen, dass bei beiden Sendern im Anschluss die Telefone nicht mehr still standen. Die BBC hat übrigens nichts daraus gelernt – alle paar Jahre kündigt sie an, in Kürze werde im Rahmen der Anpassung an die EU-Norm der Rechts-Verkehr auf den britischen Straßen eingeführt. Angesichts solcher Allgegenwärtigkeit ist der Aprilscherz natürlich auch aus dem Arbeitsalltag überhaupt nicht wegzudenken, vor allem Auszubildende und Praktikanten werden gerne mal losgeschickt, um irgendwo den Schlüssel zum Verfügungsraum, eine Darmhaspel oder einen Kupfermagneten zu besorgen; am besten, man besorgt sich gleich noch eine Tube Toleranzpaste mit, um einen 1. April besser auszuhalten. Und wir? Schlaff und fett und bleich und apathisch wundern wir uns überhaupt nichts mehr, denn wenn man erst mal ein paar male einen solchen 1. April miterlebt hat, ist man gestählt für die gesamte Restlaufzeit. Hört da wer einen skeptischen Unterton raus? Immerhin eine Sache findet heute unsere ungeteilte Zustimmung – man braucht für einen 1. April weder Blumen kaufen noch einen albernen Kürbis.

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